Aylin ist Prozessmanagerin
"Mit der Zeit habe ich jedoch gemerkt, wie wertvoll und einzigartig diese [weiblichen] Eigenschaften sind. Heute versuche ich, reflektiert vorzugehen und schätze sowohl meine eigenen als auch die Eigenschaften anderer Frauen. Ich sehe uns hier oft als „Überträger“ und genieße es, wenn Frauen von anderen Frauen lernen oder ermutigt werden."
Welche unangenehmen Gefühle sind oder waren mit deiner Weiblichkeit verbunden, und welche Erlebnisse hatten zu diesen Gefühlen geführt?
Aylin: In manchen Situationen habe ich das Gefühl, als Frau nicht sofort ernst genommen zu werden. Ich habe den Eindruck, dass ich mich zunächst erklären und meine Erfahrungen schildern muss, um insbesondere bei männlichen Gesprächspartnern auf Augenhöhe behandelt zu werden.
Nachdem ich meinen beruflichen Werdegang oder meine Erfahrungen beschrieben habe, bemerke ich oft, dass dies nicht erwartet wurde. Dies lässt sich häufig an den Gesichtsausdrücken oder den Gegenfragen erkennen. Diese Erfahrung mache ich bei Frauen hingegen nur selten.
Welche positiven Gefühle verknüpfst du mit deiner Weiblichkeit?
Aylin: Empathie und Verbundenheit mit anderen Menschen helfen mir sowohl beruflich als auch privat sehr dabei, Situationen zu gestalten. Durch mein Empathievermögen kann ich Menschen besser verstehen und viel von ihnen lernen. Dank der Verbundenheit kann ich jederzeit auf die Beziehungen mit diesen Menschen zurückgreifen, meine Erfahrungen teilen und von ihren Erfahrungen profitieren. Dadurch gewinne ich immer wieder die Möglichkeit, mein Verhalten zu reflektieren und mich als Mensch weiterzuentwickeln. Wichtig ist mir dabei jedoch, meine eigenen Grenzen zu schützen. Dies musste ich in diesem Zusammenhang erst lernen und muss heute noch immer wieder darauf Acht geben.
Wie nimmst du die Beziehung zu deinem Körper wahr, und wie hat sich diese Beziehung im Laufe der Zeit entwickelt?
Aylin: Meinem Körper habe ich jahrelang sowohl innerlich als auch äußerlich nicht die Wertschätzung gegeben, die er verdient. Ich habe dabei zum Beispiel nicht auf meine Ernährung geachtet oder körperliche Erschöpfungen wahrgenommen bzw. ignoriert. Mit der Zeit habe ich gelernt, die Signale meines Körpers zu erkennen und ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Äußerliche körperliche Veränderungen habe ich früher nur wahrgenommen, wenn mich jemand darauf hingewiesen hat. Mittlerweile nehme ich mir gerne die Zeit, in den Spiegel zu schauen und meine Eigenschaften selbst wertzuschätzen.
Auf welche Weise bringst du weibliche Aspekte in deine berufliche Tätigkeit ein?
Aylin: In meiner Tätigkeit ist es wichtig, viel Empathie und Feingefühl mitzubringen. Als Prozessmanagerin beobachte ich die Arbeit anderer und mache Optimierungen transparent. Dabei ist es entscheidend, die Arbeit und das Wissen meines Gegenübers jederzeit zu respektieren, bevor ich Änderungsvorschläge unterbreite. Eine persönliche Verbindung ist hierbei von großer Bedeutung. Es bereitet mir Freude zu sehen, wie das Eis zwischen den Menschen bricht, wenn man empathisch und respektvoll vorgeht.
Wie siehst du dich selbst als Frau in Bezug auf deine Weiblichkeit?
Aylin: Ich habe meine Eigenschaften dahingehend zu spät wahrgenommen. Für mich waren diese immer selbstverständlich und ich habe ihnen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Mit der Zeit habe ich jedoch gemerkt, wie wertvoll und einzigartig diese Eigenschaften sind. Heute versuche ich, reflektiert vorzugehen und schätze sowohl meine eigenen als auch die Eigenschaften anderer Frauen. Ich sehe uns hier oft als „Überträger“ und genieße es, wenn Frauen von anderen Frauen lernen oder ermutigt werden.
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